Kommentar von Stefan Müller, 1. Vorsitzender der FLW

In unseren Zügen ertönt seit einiger Zeit vor jedem Halt die Durchsage: „Bitte beachten Sie beim Aussteigen den Höhenunterschied zwischen Zug und Bahnsteigkante.“ – Zum Glück haben es die meisten Fahrgäste unfallfrei ohne eine solche Durchsage am Bahnhof in den Zug hinein geschafft. Da frage ich mich: Was kommt als Nächstes? Eine Durchsage: „Bitte achten Sie beim Aufstehen vom Sitzplatz auf den Abstand zwischen Kopf und Gepäckablage.“? Müssen am Ende die Züge langsamer fahren, damit zwischen den Stationen genug Zeit ist für alle Durchsagen – am Besten mehrsprachig?
Und: Wo bleibt hier die Rechtssicherheit? Müssen wir uns künftig solche Informationen nicht nur anhören, sondern vor jeder Fahrt mit unserer Unterschrift oder unserem Fingerabdruck quittieren?

Leben voller Restrisiken

Trotz technischem Fortschritt mit vielen Annehmlichkeiten und größerer Basis-Sicherheit ist das Leben voller Risiken – in unserem hochentwickelten Land eher voller Restrisiken. Sollte etwa der Lech eingezäunt werden, um dort Badeunfälle möglichst gänzlich auszuschließen?

Ein hohes Maß an Eigenverantwortung ist untrennbar verbunden mit dem Grad der Demokratie. Bevormundung und überbordende Regelungen und Verbote sind mit ihr nicht in Einklang zu bringen.

Nicht nur Kinder genießen es oft, mit dem Fahrrad freihändig zu fahren. Wollten wir das verbieten? Wohl kaum. Genausowenig wollten wir jemandem vorschreiben, sich gefälligst ein Stückchen Freiheitsgefühl zu nehmen, indem er freihändig Rad fahren soll. Das Maß, in dem jeder Mensch die Eigenverantwortung in Anspruch nimmt, ist ebenso individuell.

Freibad geöffnet:
sicherer und kürzer

Das Maß, in der eine Gesellschaft Verantwortung einzelnen Personen abnimmt, bestimmt auch die Menge an Regularien. Das zeigt sich z. B. auch im Betrieb unseres Freibades. Trotz guter Vorausplanung hat sich durch besondere Umstände ergeben, dass nicht genügend den Vorschriften nach qualifiziertes Personal verfügbar war, um die gewohnten Öffnungszeiten zu ermöglichen. Das ist nicht nur in Meitingen so, die Personalknappheit ist ein landesweites Problem. Der Personaleinsatz richtet sich hier nach nach Anzahl und Einsehbarkeit der Becken sowie nach den gesetzlichen Arbeitszeitregelungen. Es ist heute nicht vermittelbar und obendrein auch rechtlich nicht zu empfehlen, einzelne Becken über mehrere Minuten hinaus nicht im Blick zu haben – und sei es deshalb, weil eine Aufsichtsperson z. B. gerade jemanden mit einer Handverletzung behandelt. Wir können unser Freibad also nur so betreiben, dass wir die Regeln einhalten, die aus dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft hervorgegangen sind. Das führt zu höherem Personalbedarf als früher und in der diesjährigen Situation zu verringerten Öffnungzeiten. Somit findet weniger sportliche Betätigung statt und viele Leute gehen an Gewässern baden, an denen es keinerlei Aufsicht gibt und letztendlich führt es auch dazu, dass weniger Kinder schwimmen lernen.

Theorie und Praxis

Ob nun – im Vergleich zu früher – die höheren Auflagen und das konsequente Einhalten sich im Gesamtergebnis positiv auswirken, ist sicher schwer festzustellen.

Aber der zunehmende Anspruch der Gesellschaft, für früher als allgemeines Lebensrisiko angesehene Dinge die Verantwortung bei anderen zu suchen, immer häufiger zu klagen und vor Gericht auch recht zu bekommen, führt in der Konsequenz eben dazu, dass der Aufwand bei Anbietern steigt, Angebote eingeschränkt werden oder auch, dass im Freibad kein Trampolin mehr steht und Dirt-Bike-Strecken abgesperrt werden.

Wo kein Leben ist, passiert auch nichts. Soviel ist sicher …